Akustik (Leseprobe)

 

 

 

 

Einleitung
Bemerkungen über das Ohr
Psychoakustik
Frequenzabhängigkeit des Gehörs
Näheeindruck einer Schallquelle
Schallfeld und Nachhall
Hallradius
Das Geheimnis der Blauert’schen Bänder
Kammfiltereffekt – Wurzel allen Übels
Zusammenfassung


3.1 Einleitung

In diesem Kapitel geht es um wesentliche Zusammenhänge der Akustik, die man kennen muss, um als Toningenieur fachlich zu überleben und Mixdown und Mastering deutlich zu verbessern. Wir beginnen bei der Physiologie des Hörens und streifen einige wichtige psychoakustische Effekte. Wer verstanden hat, wie menschliches Hören funktioniert, macht am Mischpult alles richtig – oder zumindest weniger falsch.

Ich zeige Ihnen, wie Sie aus der „Lautstärkefalle” beim Mixen herauszukommen, klangliche Sicherheit finden und mit der Arbeit am Mixdown auch einmal fertig werden. Die Lösung ist so genial wie einfach, wenn man weiß, worum es geht.

Die akustischen Zusammenhänge des räumlichen Hörens sind nicht nur vom menschlichen Hörsystem, sondern auch von den physikalischen Zusam-menhängen bestimmt. Aber keine Angst, dies wird keine Physikvorlesung. Ich werde Ihnen sehr detailliert zeigen, wodurch Räumlichkeit und Tiefeneindruck beim Hören entstehen. Damit haben Sie ein mächtiges Werkzeug in der Hand: Wer mit der Tiefenstaffelung im Mix umgehen kann, ist klar im Vorteil!

Ein Abschnitt ist einem besonderen Soundkiller gewidmet, dem Kammfiltereffekt. Ein allgegenwärtiger Effekt, der die Klangqualität ruiniert! Man kann ihn auch unbeabsichtigt auf elektrischem Wege erzeugen, ich zeige Ihnen, wie man das vermeidet.

Die Akustik ist keine einfache Materie und vieles erscheint erst einmal etwas theoretisch. Ich verspreche Ihnen, dass die Praxis nicht zu kurz kommt.

 

3.4 Frequenzabhängigkeit des Gehörs

Das menschliche Gehör ist im Optimalfall in der Lage, Frequenzen von 20 Hz bis zu 20 kHz zu hören, also etwa 10 Oktaven. Ältere Menschen und Schlagzeuger hören weniger. Die Verdoppelung der Frequenz entspricht einer Oktave, das sind musikalisch gesehen drei Terzen – aber das nur nebenbei.

Die empfundene Lautstärke (die Wahrnehmung des Schalldruckpegels) ist je nach Frequenz unterschiedlich. Fletcher und Munson haben die ersten Untersuchungen hierzu in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Sinustönen und Kopfhörern durchgeführt. Robinson und Dadson haben diese Untersuchungen in den 50ern mittels Lautsprecherwiedergabe wieder-holt und neuere Werte ermittelt. Die Ergebnisse aktueller Untersuchungen (siehe ISO 226 von 2003) zeigen, dass der Effekt eher noch stärker ist als damals ermittelt. Was wurde nun eigentlich gemessen?

Testpersonen wurden Sinustöne verschiedener Frequenzen vorgespielt. Dabei stellte sich heraus, dass die Lautheitswahrnehmung, also die empfundene Lautstärke, je nach Frequenz unterschiedlich ist. Dann variierte man die Lautstärke in den einzelnen Frequenzen solange, bis die Testpersonen sie für alle Frequenzen als identisch empfanden. Das muss ziemlich anstrengend gewesen sein. Halten wir fest:

Die Lautstärkewahrnehmung ist abhängig von der Frequenz.

Um es noch komplizierter zu machen, sind diese frequenzabhängigen Unterschiede in der Lautstärkewahrnehmung wiederum noch vom absoluten Schalldruckpegel abhängig. Je geringer der Schalldruck ist, desto stärker muss man zum Beispiel tiefe Frequenzen anheben, um dieselbe Lautstärkewahrnehmung zu erzielen wie mit dem Referenzton von 1 kHz.

Die Frequenzabhängigkeit des Gehörs verändert sich mit der Lautstärke.

Damit ist das Problem komplett beschrieben. Das Gehör ist alles andere als linear. Und dazu auch noch abhängig vom Schalldruckpegel (psychoakustisch ausgedrückt: von der Lautstärke). Niemand würde eine Stereoanlage oder ein Mikrofon mit einem derart krummen Frequenzgang kaufen.

Haben Sie Interesse hier weiter einzusteigen? Wenn nicht, rücken Sie vor bis zu den Praxistipps und lesen Sie die Herleitung einige Jahre später – ich bin Ihnen deswegen nicht böse.

Werfen Sie einen Blick auf die folgende Grafik, dann sehen Sie diese Katastrophe im Detail. Abgebildet sind die Kurven gleicher Lautstärkewahrnehmung, die aus den Untersuchungen von Robinson und Dadson (1956) stammen [7], ich habe das Diagramm hier etwas vereinfacht. Die Hörschwelle (bei 1 kHz) liegt bei 0 phon, aber darüber streiten sich die Quellen, mitunter werden auch erst 4 phon als Hörschwelle bestimmt. Die Schmerzgrenze ist individuell etwas unterschiedlich, der Schmerz beginnt meist bei 130 phon. Definitionsgemäß liegt die Schmerzschwelle bei 137,5 dB, das entspricht einem Schalldruck von 150 Pa.

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Abb. 8: Kurven gleicher Lautstärkewahrnehmung (Isophonen) nach Robinson und Dadson bzw. nach ISO 226

Die Kurven gleicher Lautstärkewahrnehmung zeigen, um wie viel dB man den Schalldruckpegel erhöhen oder absenken muss, um den Ton gleich laut wie den 1-kHz-Ton zu empfinden. Diese Kurven werden als Isophonen bezeichnet, das heißt Kurven gleicher (iso-)empfundener Lautstärke (phon).

Schauen wir uns zwei willkürlich ausgewählte Frequenzen etwas genauer an, 50 Hz und 10 kHz: Um den tiefen Ton mit 50 Hz genauso laut zu empfinden wie den Vergleichston mit 1 kHz, muss man den Schalldruckpegel des 50-Hz-Tones deutlich erhöhen. Bei einem Lautstärkepegel von 40 phon um etwa 24 dB! Der Pegel eines 10-kHz-Tones muss dagegen nur um 10 dB angehoben werden, um als gleich laut empfunden zu werden.

Lassen Sie uns den absoluten Werten hier nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, da streiten sich die Wissenschaftler je nach Randbedingungen der Messungen und Aus-wahl der Testgruppe. Dies ist nur ein Beispiel, und Musik besteht auch nicht aus Sinustönen. Hauptsache Ihnen wird das Prinzip der frequenzabhängigen Lautstärkewahrnehmung klar.

Die Kurven zeigen, dass man tiefe Frequenzen extrem anheben muss, um dasselbe Lautstärkeempfinden zu erreichen wie für den 1-kHz-Ton. Das Frequenzband um 315 Hz und um 3,15 kHz muss man eher etwas absenken, 10 kHz müssen stark angehoben werden.

Schauen Sie doch bei dieser Gelegenheit bitte einmal nach, ob Ihr Stereoverstärker eine Loudnesstaste hat. Diese Taste schaltet einen lautstärkeabhängigen Equalizer in den Signalweg, der den Pegel tiefer Frequenzen bei geringen Lautstärken anhebt. Eigentlich gut gedacht, um damit Robinson/ Dadson ein Schnippchen zu schlagen. Die Wirkung entspricht aber nicht unserem natürlichen Hörempfinden. Wir wissen, dass bei geringen Lautstärken weniger Bässe „kommen”. Werden diese angehoben, wird unser Hörsystem verwirrt, weil es natürlicherweise eben so nicht ist (gewohntes Hören). Überdies heben einige Loudness-Schaltungen unverständlicherweise auch noch die Höhen mit an. Das hat nun gar nichts mehr mit menschlichen Hörgewohnheiten zu tun. Lassen Sie die Loudness stets ausgeschaltet und hören Sie Musik zum Wohlgenuss oder zur Beurteilung stets in der für das Genre typischen Lautstärke.

→ Praxistipps:

Ein leises Instrument, das im Mix deutlich lauter gemacht wird, hat plötzlich zu viele Tiefenanteile im Klang. Senken Sie daher per Equalizer die tiefen Frequenzen entsprechend ab, wenn sie den Pegel anheben. Nur so klingt das Instrument nach wie vor natürlich.

Beim Einsatz eines Kompressors im Signalweg tritt derselbe Effekt auf. Deshalb machen Kompressoren den Sound fett. Ist das bei dem Signal, das Sie gerade bearbeiten, wirklich gewünscht?

Ein Kompressor begrenzt die Dynamik und verändert den Klang. Deshalb haben Kompressoren in der Bearbeitung von Klassik nichts zu suchen.

Wenn Sie viele Einzelsignale im Mixdown komprimieren, haben Sie automatisch ein Problem in den tiefen Frequenzbereichen. Bearbeiten Sie die Signale gezielt per EQ, damit der Sound nicht intransparent, mulmig und dröhnig wird.

...

 

3.10 Zusammenfassung

Schön, dass Sie immer noch dabei sind. Es gibt viel Literatur, um das Wissen über die Akustik zu vertiefen, das Wichtigste für die Arbeit am Mix haben Sie hier erfahren. Folgen Sie mir noch kurz bei der Zusammenfassung des Kapitels, dann gehören Sie zu meinen Lieblingslesern:

Das Ohr ist ein richtungsselektiver Empfänger.

Psychoakustische Effekte prägen unser Hörempfinden entscheidend mit. Wenn man sie kennt, kann man sie nutzen.

Das Lautstärkeempfinden ist von der Frequenz und vom Lautstärkepegel abhängig. Die optimale Abhörlautstärke liegt bei etwa 82 dB, denn hier ist das Gehör am wenigsten „krumm”.

Halten Sie die Abhörlautstärke bei Mix und Mastering konstant. Nur mit einer dem Genre entsprechenden Lautstärke ist es möglich, den Sound sicher zu beurteilen.

Zur Bestimmung von Nähe und Entfernung einer Schallquelle wird zunächst die Lautstärke herangezogen. Laut ist nahe und leise ist entfernt, der Schalldruckegel nimmt bei Verdopplung der Entfernung linear jeweils um 6 dB ab.

Der Zeitpunkt des Eintreffens der Erstreflexionen ist ebenfalls von hoher Bedeutung für den Näheeindruck. Ein langes Predelay lässt die Schallquelle nahe erscheinen.

Vermeiden Sie Predelays mit einem Zeitversatz von weniger als 15 ms nach dem Direktsignal.

Für das diffuse Schallfeld ist die Nachhallzeit (RT60) eine entscheidende Größe. Einzelne, herausragende Peaks des Halls werden als Echo wahr-genommen. Timen Sie Ihr Predelay und die Echos musikalisch, sonst gibt es rhythmisches Chaos.

Die Blauert’schen Bänder unterstützen den Näheeindruck. Mithilfe einiger selbst gebauter EQ-Presets werden Sie in Verbindung mit dem richtigen Predelay zum Meister der Tiefenstaffelung. Die Anhebung der Bänder um 315 Hz und 3,15 kHz verstärkt den Näheeindruck, die Anhebung bei 1 kHz und 10 kHz verstärkt den Eindruck der Entfernung. Anhebungen sind wirksamer als Absenkungen der jeweils anderen Bänder.

Reflexionen mit geringfügigem Zeitversatz führen zu unerwünschten Kammfiltereffekten. Sowohl bei der Aufnahme wie auch bei der Bearbeitung können Kammfiltereffekte auf akustischem oder elektrischem Wege entstehen.

Klangschädigende Kammfiltereffekte treten in vielen Zusammenhängen auf, nur die wenigsten davon sind gewollt.

Und falls Sie jetzt noch nicht genug haben, lesen Sie gleich im Anschluss das Kapitel über Raumakustik. Danke, dass Sie bis hier dabei waren!