Raumakustik (Leseprobe)

 

 

 

 

Einleitung – You’re entering a world of pain!
Ziele der Raumakustik
Die üblichen Probleme mit der Raumakustik
Schallausbreitung und Reflexion
Absorption
Schaumstoff und Teppichboden – Pseudoakustik
Stehende Wellen – Raumeigenmoden
Diffusität
Rechnen, simulieren und messen
Gestaltung der Aufnahmeraum-Akustik
Konzepte für die der Regie: RFZ und LEDE
Aufstellung der Abhörlautsprecher / Linearisierung
Zusammenfassung


4.1 Einleitung – You're entering a world of pain!

Dieses Kapitel ist für diejenigen geschrieben, die ihr eigenes Studio planen oder Räume akustisch verbessern wollen. Und für diejenigen, die nicht alles glauben wollen, was gemeinhin über Raumakustik erzählt wird.

Mit dem Schreiben über Raumakustik ist es wie mit der Sache selbst: Entweder man macht es richtig oder gar nicht. Darum ist dieses Kapitel auch etwas umfangreicher geworden. Raumakustik ist ein Gebiet, das die Nerven strapaziert und schnell finanziellen Ruin beschert, wenn man es konsequent und auf hohem Niveau angeht. Um das zu vermeiden, möchte ich Ihnen hier etwas Orientierung geben. Wenn Sie durchhalten, werden Sie sehen, warum Sie das Geld für den lang ersehnten Luxuskompressor viel besser in die Akustik Ihrer Räume investieren.

Raumakustik beschäftigt sich mit dem Einfluss des Raumes auf das Hörerlebnis. Sie steht auf Platz eins der klangbeeinflussenden Faktoren, deshalb müssen Ihre Räume zum Zweck der Aufnahme oder des Abhörens akustisch optimiert sein. Alles, was Sie an Mängeln der Akustik bewusst oder unbewusst akzeptieren, findet sich in Aufnahmen, Mix und Mastering un-abänderlich wieder. Auch wenn Sie „nur” mit Samples oder elektronischen Klangerzeugern arbeiten und somit gar keinen Aufnahmeraum benötigen: In der Regie sehen und hören wir uns wieder!

Raumakustik ist nicht Bauakustik. Sofern man Schalldämmung erreichen will, hilft nur eins: Masse – und keine Eierkartons. Am besten sind dicke Wände aus Stein, um Außengeräusche abzuschotten oder den Nachbarn vor dem Schlagzeug zu retten.

In diesem Kapitel geht es aber nicht um Bauakustik, sondern um Raumakustik. Mit guter Raumakustik erreichen Sie eine deutlich bessere Klangqualität Ihrer Produktionen, schlechte Raumakustik lässt Sie zum Opfer Ihrer Räume werden: Ihr gutes Equipment kommt nicht zum Zuge, Sie holen nicht an-nähernd das heraus, was Ihre Mikrofone, Verstärker und Lautsprecher in Sachen Klangqualität bieten könnten. Im semiprofessionellen Bereich wird bei der Dämpfung der Räume zur Verringerung der Nachhallzeit viel verkehrt gemacht. Ich zeige Ihnen, wie es richtig geht.

Wie lang ist die richtige Nachhallzeit von Aufnahmeraum und Regie? Was sind optimale Raumproportionen? Kann ich eine Gesangskabine selbst bauen? Wo drohen Kammfiltereffekte? Und was sind eigentlich die Aufgaben von Absorbern, Diffusoren und Bassfallen? Wo und wie stehen Abhörlaut-sprecher richtig, was sind stehende Wellen? Was ist wichtig, was unwichtig? Und womit fange ich an?

Willkommen in der Hölle! Wenn Sie bereit sind, all diese unangenehmen Fragen mit mir durchzugehen, werden Sie erkennen, worauf es ankommt. Sie können dann zielgerichtet Änderungen durchführen, statt herumzuprobieren. Wollen Sie Ihre Raumakustik verbessern, müssen Sie wissen, welche akustischen Phänomene es gibt und wie sie zustande kommen. Hier müssen wir wohl oder übel in die Theorie einsteigen. Keine Angst, es tut nur ein bisschen weh.

Wenn Sie die Raumakustik kontrollieren (und nicht umgekehrt), werden Sie erleben, wie gut Musik – und wie gut Ihr Equipment und Ihre Produktionen klingen können.

Wollen wir starten?

 

 

4.6 Schaumstoff und Teppichboden – fertig ist die
      Pseudoakustik!

Akustikschaumstoff an der Wand gehört zu den am häufigsten verwendeten porösen Absorbern, es gibt ihn in unterschiedlichen Dichten, Stärken und Oberflächenstrukturen, zum Beispiel glatt, in Wellenform oder als Pyramide. Weil man ihn in so vielen Studios sieht, möchte ich detailliert darauf eingehen, wie Akustikschaumstoff wirkt und was man dabei alles verkehrt machen kann. Dazu müssen wir noch einmal auf die Schallschnelle zurückkommen.

Poröse Absorber wirken dort gut, wo die Schallschnelle hoch ist, denn nur dort kann man die Luftteilchen auch wirksam abbremsen. Die Schallschnelle direkt an der Wand ist aber gleich null, denn das Luftteilchen wird beim Crash gegen die Wand bis zum Stillstand heruntergebremst, bevor es zurückgeworfen wird. Wieso wird dann der Schaumstoff direkt an der Wand angebracht? Dort nutzt er doch gar nichts?

Hier kommt die Auflösung: Bei einem Viertel (und bei drei Vierteln) der Wellenlänge ist die Schallschnelle maximal. Dort wirkt ein poröser Absorber am besten. Deshalb sollte das Material so dick sein, dass es sich mindestens bis zu einem Viertel der Wellenlänge ausdehnt.

Oder man bringt den Absorber in passendem Abstand zur Wand an. Dort lässt er sich aber nicht gut befestigen. Das ist das ganze Geheimnis, warum Schaumstoff, der an der Wand befestigt ist, dick sein muss, damit er gut dämpft.

Resonatoren funktionieren übrigens genau anders herum. Sie entfalten ihre maximale Wirkung dort, wo der Schalldruck am höchsten ist, also bei der halben Wellenlänge oder direkt an der Wand. Deshalb werden auch sie direkt an den Wänden angebracht. Das folgende Bild [10] zeigt den Zusammenhang zwischen Schallschnelle, Schalldruck und Wellenlänge in Wandnähe.

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Abb. 22: Verlauf von Schallschnelle und Schalldruck an einer schallharten Wand (Abbildung nach Hunecke)

Um eine tiefe Frequenz von beispielsweise 123 Hz mit Akustikschaum zu dämpfen, müsste die Schaumstoffplatte mindestens so stark sein wie ein Viertel der Wellenlänge (2,80 m : 4 = 0,7 m)! Siebzig Zentimeter dicker Schaumstoff, das geht nun wirklich nicht. Alle Höhen würden sich darin totlaufen, denn sie weisen innerhalb von 70 cm mehrmals die maximale Schallschnelle auf und werden mit höchstem Wirkungsgrad gedämpft. Will man die tiefen Reflexionen abdämpfen, ohne die hohen Frequenzen zu verlieren, funktioniert das mit dickem Schaumstoff (oder anderen porösen Absorbern) nicht.

Um die Höhen und oberen Höhen wirkungsvoll zu dämpfen, benötigt man nur wenig Absorption. Der Energiegehalt der kurzen Schallwellen ist gering und die Absorptionswirkung der Luft ist ab 5 kHz aufwärts so hoch, dass nur noch geringer zusätzlicher Dämpfungsbedarf besteht. Tiefe, energiereiche Fre-quenzen haben viel längere Nachhallzeiten, da sie durch die Luft weniger gebremst werden.

Poröse Absorber dämpfen in der Frequenz aufwärts mit zunehmendem Wirkungsgrad (Absorptionsgrad). Sobald sie ihre maximale Wirkung erreicht haben, behalten sie diese auch bei weiter steigender Frequenz nahezu konstant bei. Das ist gefährlich: Hat man zu viele Absorber dieser Art eingebaut, ist schnell des Guten zu viel getan und die Höhen werden zu stark geschluckt.

Im Internet geben die Anbieter von Akustikschaum freundlicherweise die frequenzabhängigen Dämpfungswerte bekannt. Akustikschaum dämpft wirk-sam ab etwa 500 Hz aufwärts, unterhalb fällt die Dämpfung bis zur Wirkungs-losigkeit hin ab. Je dicker das Material, desto besser ist der Wirkungsgrad bei tieferen Frequenzen. Die folgende Abbildung zeigt exemplarisch das Dämpfungsverhalten von Schaumstoff mit pyramidenförmiger Oberfläche (Spitzenhöhe 50 mm) und als glatte Vollplatte (50 mm Stärke).

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Abb. 23: Dämpfungsverhalten von Akustikschaumstoff über der Frequenz

Eine glatte Vollplatte dämpft die tieferen Frequenzen stärker als eine Pyramiden- oder Noppenplatte, bei der die Materialstärke in den Tälern auf etwa 20 mm zusammenschrumpft.

Wenn es keine Höhen mehr im diffusen Schallfeld gibt, ist die Raumakustik miserabel, obwohl die mittlere Nachhallzeit stimmt. Dies ist der am häufigsten anzutreffende Fehler in Amateurstudios: Die Räume werden zu stark mit Akustikschaum oder anderen porösen Absorbern bedämpft. Die Folge ist ein mulmiger, topfiger Raumklang mit langer Nachhallzeit der tiefen Frequenzen und kurzer Nachhallzeit der hohen Frequenzen. Das ist Pseudoakustik, gute Raumakustik ist anders!

Gardinen und Teppiche weisen ein ähnliches Absorptionsverhalten wie Schaumstoff auf und führen zu denselben Problemen. Nur spezielle Akustikvorhänge, die in genau bestimmtem Abstand von der Wand ange-bracht werden, reichen in ihrem Absorptionsspektrum weiter hinunter.

Dennoch ist Schaumstoff ein geeignetes und preiswertes Mittel, um die Nachhallzeit des Raumes zu senken. Man darf nur nicht davon ausgehen, dass man alle Probleme damit löst. Ohne Kenntnisse über die Wirkungsweise handelt man sich neue Probleme ein (Pseudoakustik). Die mit Akustik-schaumstoff maximal zu belegende Fläche richtet sich danach, wie stark die Nachhallzeit der oberen Mitten und Höhen verringert werden darf, ohne die Akustik insgesamt zu verschlechtern.

In der Regie führt zu viel Akustikschaumstoff dazu, dass die oberen Mitten, die Höhen und die oberen Höhen in Mix und Mastering systematisch überbetont werden.

Die oft gesehenen Eierkartonwände in Übungsräumen haben ein völlig unstetes Dämpfungsverhalten über der Frequenz, so etwas kann man gar nicht gebrauchen. Akustisch gesehen sind sie nutzlos bis schädlich und zudem extrem feuergefährlich.

 

→ Praxistipps:

Bringen Sie Akustikschaumstoff nur Platte für Platte an, um die Nachhallzeit einzustellen. Machen Sie dabei Hörtests, und achten Sie auf die hohen Frequenzen. Sie merken sofort, wenn Sie zu viel des Guten tun. Nehmen Sie zur Gegenkontrolle die zuletzt angebrachte Platte wieder ab und beurteilen Sie am Abhörort das Klangbild der Höhen – besser oder schlechter?

Wenn Sie den Akustikschaumstoff über die Wände verteilt anbringen, statt nur an einer Wand, erreichen Sie aufgrund der mehrfachen Reflexionen mit derselben Fläche Schaumstoff eine höhere Dämpfungswirkung im Raum.

 

 

4.13 Zusammenfassung

Die Raumakustik steht neben dem Mikrofon und den Abhörlautsprechern auf Platz eins der klangbeeinflussenden Größen. Unzulänglichkeiten der Regieraumakustik finden sich mit umgekehrtem Vorzeichen in Mix und Mastering wieder.

Jeder Raum hat seine akustischen Probleme, auch Ihr Raum. Die Frage ist nur, ob die Probleme bedeutsam sind oder nicht. Je kleiner und reflexionsreicher die Räume sind, desto größer werden die Probleme. Stehende Wellen im niedrigen Frequenzbereich führen zu Auslöschungen oder zu Überhöhungen, je nachdem, wo man sich gerade im Raum befindet – oder wo das Mikrofon steht.

Die Mittel zur raumakustischen Gestaltung sind Absorber, Diffusoren und Resonatoren. Mit Schaumstoff, Vorhang und Teppich kommt man nicht zum Ziel und baut leicht eine Pseudoakustik.

Viele Zusammenhänge der Akustik gelten gleichermaßen für Aufnahme- und Regieraum. Allerdings ist die Auslegung unterschiedlich und die Anfor-derungen an die Regie sind härter. Bei kleinen Regieräumen wendet man das Near-field-Monitoring an, bei großen Regieräumen das Konzept des Studio-monitorings. Beide Konzepte sorgen dafür, dass die Erstreflexionen nicht zu früh bzw. nicht zu laut am Abhörplatz ankommen. Entscheidet man sich für das baulich weniger aufwändige Nearfield-Monitoring, wird das LEDE-Prinzip angewendet.

Um die Raumakustik zu analysieren, gibt es Simulationstools im Internet, die man zum Teil sogar kostenlos nutzen kann. Wer messen will, sollte sich mit der Materie auskennen, sonst misst man Hausnummern. Lassen Sie sich konzeptionell durch einen Fachmann beraten, denn bei der Raumakustik kann man viel falsch machen.

Die Erkenntnisse können Sie übrigens auch im heimischen Wohnzimmer anwenden, um die sündhaft teure Soundanlage endlich so klingen zu lassen, wie sie es könnte.

Wenn Sie einmalig Geld in die Raumakustik stecken, profitieren Sie bei jeder Produktion davon. Und wenn Sie alles richtig machen, wird auch bei Ihnen die Raumakustik zur Traumakustik!