Stereofonie (Leseprobe)

 

 

 

 

Einleitung
Rückblick
Grundlagen der Stereofonie
Kopfhörer verboten
Rechts und links in Stereo (3 von 8 Seiten)
Trading – das Ende der Klangqualität
Exkurs künstliche Stereoverbreiterung
Zusammenfassung


2.1 Einleitung

Für Musik ist die zweikanalige Stereofonie nach wie vor das bedeutendste Übertragungssystem. Deshalb geht es hier stets um zwei Kanäle, rechts und links, wenn von der Stereofonie gesprochen wird. Ein dritter Lautsprecher, ein Subwoofer, darf noch hinzukommen. Er stellt aber keinen weiteren Kanal dar, sondern stützt allein den Frequenzgang des Übertragungssystems.

Mehrkanalige Übertragungssysteme wie 5.1 sind Spezialitäten fürs (Heim-) Kino. Dagegen hat die monofone Übertragung heute keine Bedeutung mehr, außer beim Telefon, in der Disco oder bei meinem Küchenradio.

Zwei Ohren, also zwei Lautsprecher, denkt der Ahnungslose. Aber das Zwei-kanal-Tonübertragungssystem kann weit mehr, als nur zwei Ohren mit aus-reichendem Pegel beschallen. Mit stereofoner Übertragung können seitliche Anordnungen der Schallquellen, Tiefenstaffelung und Übertragung der Räumlichkeit realisiert werden.

Schauen wir etwas genauer hin, denn es gibt mehrere Arten von Stereofonie, die bereits durch die Mikrofonierung festgelegt sind. Am Mischpult müssen wir wissen, womit wir es zu tun haben, sonst droht möglicherweise Ungemach. Schon der einfache Griff zum Panoramasteller kann Räumlichkeit und Klang ruinieren, wenn man nicht weiß, dass die Einengung der Stereobreite bei Laufzeitdifferenzstereofonie derartige Auswirkungen hat.

Stereofonie ist immer nur ein Abbild, etwas Künstliches, das sich vom ursprünglichen Ereignis deutlich unterscheidet. Stereofonie ist eine Interpre-tation des natürlichen Hörens, vergleichbar mit der Fotografie und dem Motiv selbst. Allein der Tonverantwortliche entscheidet durch die Art der Aufnahme und deren Bearbeitung, zu welchem Ergebnis man dabei gelangt. Ein Urheberrecht steht ihm allerdings nicht zu, obwohl er nichts anderes tut als der Fotograf: Er nimmt eine wohlüberlegte Interpretation der Wirklichkeit vor.

Und was hören wir unter Kopfhörern? Noch weniger. Die meisten Musik-produktionen sind gemacht, um sie über Lautsprecher abzuhören. Die stereofonen Verhältnisse unter Kopfhörern sind andere als beim Hören über Lautsprecher. Es fehlt zum Beispiel die Akustik des Abhörraums. Vergessen Sie also das Mischen oder Mastern über Kopfhörer. Sounddesign geht nur mit Lautsprechern!

Kopfhörer dienen nur dazu, spezielle Details zu überprüfen, sie sind so etwas wie eine akustische Lupe. Würden Sie einen van Gogh mit der Lupe betrachten, um die Wirkung dieses großartigen Bildes aufzunehmen?

Dieses Kapitel soll Ihnen zeigen, welch große Bedeutung die Stereofonie für das Klangbild hat, wie man die Zusammenhänge gekonnt in Mix und Mastering nutzt und in welche Fallen man dabei besser nicht tappt. Mit dem Wissen um die Stereofonie wird sich die Klangqualität in Ihren Produktionen deutlich verbessern.

Versprochen!

 

2.4 Kopfhörer verboten

Der überwiegende Anteil an Musikproduktionen ist für die Lautsprecher-wiedergabe gemacht. Die Lautsprechersignale kommen rechts und links an den Ohren mit einer gewissen Zeitdifferenz an, es findet ein Übersprechen der beiden Kanäle statt. Bei der Verwendung von Kopfhörern fehlt diese Übersprechung. Auch die spektralen Unterschiede der Signale rechts und links, bedingt durch die Form der Ohrmuscheln, fallen bei der Kopfhörer-wiedergabe weg. Sie sind aber wichtig für die Richtungsbestimmung der Schallquelle.

Die Nachhallzeiten stimmen nicht, die Erstreflexionen der Raumwände fehlen und damit fehlt auch die Räumlichkeitsinformation (Response) des Abhör-raumes.

Somit ist das Signal im Kopfhörer nicht vollständig und die Standard-Abhörsituation bleibt unberücksichtigt. Es treten Unklarheiten in der Lokali-sa-tion auf. Die Laufzeit- und Pegeldifferenzen zwischen rechtem und linkem Kanal führen bei Kopfhörern (frequenzabhängig) zu weniger starken seit-lichen Auslenkungen als bei einer Wiedergabe über Lautsprecher [4]. Das führt dazu, dass Sie beim Mischen mit Kopfhörern die Stereobasisbreite falsch einschätzen, Sie ziehen die Schallquellen weiter auseinander und es entsteht bei der Lautsprecherwiedergabe leicht das vielzitierte „Loch in der Mitte”.

All das kennen und wissen Toningenieure und berücksichtigen es. Sie wissen, dass Menschen üblicherweise zwei Ohren und ein Gehirn haben, und gehen davon aus, dass sie Ihre Stereoanlage nicht auf freiem Feld, sondern in einem geschlossenen Raum aufstellen und Sie im Sweet Spot des Stereo-dreiecks sitzen. Darauf ist die gesamte Lautsprecherstereofonie angelegt. Am Mischpult orientiert man sich überwiegend an der Standard-Abhörsituation „Wohnzimmer”. Deshalb gibt es für besondere Umgebungen auch extra Club-mixe oder Discomixe, die meist monofon gemischt sind.

Überdies sind die Klangunterschiede von Kopfhörern so groß, dass eine Standard-Hörsituation nicht gegeben ist. Versuchen Sie also bitte nicht, einen Mix für Lautsprecherstereofonie unter Kopfhörern zu erarbeiten. Sie würden damit einen tontechnischen Kardinalfehler begehen.

Zum Mischen und Mastern für Lautsprecherstereofonie gehören immer Lautsprecher! Sollten Ihre Mischungen über Kopfhörer „besser” klingen als über Lautsprecher, versuchen Sie die Gründe systematisch zu ermitteln. Das Mischen über Kopfhörer kann nicht zu einem überzeugend guten Sound für die Lautsprecherwiedergabe führen!

→ Praxistipp: Mischen und mastern Sie immer mit Lautsprechern. Kopfhörer adé! Nur die Gesamtheit aus Lautsprecherschall und Raumschall ergibt die richtige Abhörsituation. Wenn es mit Kopfhörer besser klingt als über die Monitorboxen, stimmt etwas nicht.

 

2.5 Rechts und links in Stereo

Wissenschaftlich formuliert hieße das Thema „Beeinflussung der Hörereignisrichtung durch Pegel- und Laufzeitdifferenzen in der stereofonen Wiedergabe”. Aber das klingt scheußlich kompliziert. Dabei ist es in der Sache ganz einfach. Im Mixdown wollen wir die Position der Akustikgitarre verschieben, sagen wir nach rechts, ungefähr 50 %. Keine große Sache, was jetzt aber passiert, ist von so fundamentaler Bedeutung für Ihre Arbeit, dass ich die nächsten Sätze ganz langsam schreibe: Sie bewegen das Panorama-Poti (Panpoti) am Mischpult oder den Regler der Software langsam nach rechts, bis die gewünschte Hörereignisrichtung erreicht ist. Fertig, Aufgabe gelöst! Sehen Sie, das machen alle Toningenieure so, und es steht auch so in jeder Bedienungsanleitung von Mischpulten.

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Abb. 4: Phantomschallquelle (streckenlineare Einteilung)

Was ist jetzt eigentlich passiert? Sie erinnern sich, dass die Aufnahme der gezupften A-Saite weder Laufzeit- noch Pegeldifferenzen zwischen rechts und links aufwies. Mithilfe des Panpotis haben wir den Pegel rechts erhöht und links etwas abgesenkt, das Signal wandert nach rechts. Dieser Regler ist so schlau konstruiert, dass sich die Gesamtlautstärke beider Kanäle in der Summe nicht ändert. Die Leistungssumme auf der Stereo-Sammelschiene des Mischpultes bleibt in jeder Stellung des Panpotis konstant.

Durch Drehen am Panpoti haben wir die Hörereignisrichtung mithilfe von Pegeldifferenzen beeinflusst. Dieses stereofone Verfahren bezeichnet die tontechnische Gemeinde als Pegeldifferenzstereofonie oder auch etwas weniger präzise als Intensitätsstereofonie. Pegeldifferenz wird mit dem Zeichen ΔL (delta-L) dargestellt, hierbei steht Δ für den griechischen Buchstaben Delta, der in der Mathematik als Abkürzung für Differenzen verwendet wird, und das L für den englischen Begriff level, frei übersetzt ist der Schalldruckpegel des Signals gemeint.

Also gibt es noch andere Verfahren? Genau, nämlich Stereofonie mit Laufzeitdifferenz Δt. Das t steht für time und damit ist alles erklärt. Nur noch nicht, wie es funktioniert. Das hole ich jetzt nach. Dazu noch einmal ein kurzer Blick auf die erstaunliche Beschaffenheit des Gehörs: Kleinste Laufzeit-unterschiede eines Signals zwischen linkem und rechtem Ohr ermöglichen es uns, die Schallquelle hinsichtlich rechts oder links zu lokalisieren. Kommt das Signal zuerst am linken und dann kurze Zeit später am rechten Ohr an (denn es muss ja einen etwas weiteren Weg bis zum rechten Ohr zurücklegen, wenn es von links kommt), interpretiert das Gehirn die Hörereignisrichtung als von links kommend. Sogar wenn das Signal weniger Pegel aufweist. Das nennt man Präzedenzeffekt, für den Fall, dass Sie einmal über diesen Begriff stol-pern. Diesen unglaublich geringen Zeitversatz zu erkennen, beherrschen wir fast so gut wie Fledermäuse.

Man kann die Hörereignisrichtung auch mittels Laufzeitdifferenzen beeinflussen. Nur leider gibt es dafür keinen Regler am Mischpult. Schauen Sie einmal in Ihrem Handbuch nach: Alle Regler sind Pegeldifferenzsteller, Laufzeitdifferenzen unbekannt! Und falls nichts dazu gesagt wird, ist es immer Pegeldifferenz, zu 100 %.

Um eine Laufzeitdifferenz am Mischpult zu erzeugen, benötigen Sie Zeitglieder, also ein Delay zwischen den Kanälen. Sicher haben Sie gerade ein passendes Plugin zur Hand und können das einmal ausprobieren. Schicken Sie den linken Kanal durch ein Delay und geben Sie eine Ver-zögerungszeit von 0,48 Millisekunden ein. Schon kommt das Signal auf der Position 50 % rechts.

Aufnahmeseitig liegen Pegel- und Laufzeitdifferenzen im Mikrofonierungs-verfahren begründet. Toningenieure wählen deshalb bewusst ein Haupt-mikrofonsystem, das ihnen das gewünschte Ergebnis liefert: Pegeldifferenz, Laufzeitdifferenz oder sogar eine Mischung daraus. Sofern Sie selbst stereo-fone Mikrofonaufnahmen machen, schlage ich vor, die Kapitel über Mikrofone und über Mikrofonierung zu lesen, bevor Sie zur Tat schreiten. Dort wird erklärt, welche Mikrofonsysteme welche Art von Stereofonie erzeugen.

Laufzeitstereofonie ist klanglich nicht so lokalisationsscharf wie Pegel-differenzstereofonie, die Lokalisationsschärfe nimmt zu den Rändern hin sogar noch deutlich ab [5].

...

 

2.6 Trading, das Ende der Klangqualität

Stereosignale, die mit Laufzeitdifferenzen behaftet sind, müssen am Mischpult in besonderer Art und Weise behandelt werden, sonst wird die Klangqualität schnell ruiniert. Bisher haben wir nur besprochen, dass Laufzeit- und Pegeldifferenz sich addieren und sind dabei gedanklich von der gleichen Richtung (Äquivalenz) ausgegangen. Ist Ihnen ein Stereosignal zu linkslastig, greifen Sie naheliegenderweise zum Panpoti und schieben es weiter nach rechts.

Das heißt, sie bekämpfen die laufzeitbedingte Linksausrich-tung mittels Panpoti mit einer Pegelerhöhung rechts. Dabei engen Sie die Stereobasis des Signals ein und verursachen ein ungewolltes Übersprechen der Kanäle. Laufzeitdifferenz und Pegeldifferenz sind in diesem Fall gegensinnig, es kommt zu Phasenauslöschungen und Kammfiltereffekten.

Das gegensinnige „Aushandeln” (Kompensation) zwischen Laufzeit- und Pegeldifferenz bezeichnet man als Trading, es ist unbedingt zu vermeiden, denn es schadet der Klangqualität erheblich [8]. Also: gegensinnig gleich unsinnig!

Trading macht den Klang verwaschen und die Lokalisation mehrdeutig, entstehende Kammfiltereffekte verderben den Klang und die räumliche Wirkung der Aufnahme bricht schnell zusammen, das Klangbild wird flach. Trading ist eine wirksame Methode, um eine gute stereofone Aufnahme am Mischpult zu ruinieren. Achten Sie deshalb auch bei synthetischen Klangerzeugern oder bei Ampsimulatoren und Effektgeräten darauf, ob das Stereo-Returnsignal Laufzeitdifferenzen beinhaltet, dann gilt die obengenannte Regel für diese Signalquellen gleichermaßen.

Nur gleichsinnige (äquivalente) Additionen von Laufzeit- und Pegeldifferenz ergeben eindeutige, gut lokalisierbare Hörereignisse und erhalten die Räumlichkeit und Klangqualität. Im Umgang mit stereofonen Signalen muss man sich Klarheit verschaffen, ob die Signale nur Pegeldifferenz oder Laufzeitdifferenz aufweisen oder beides mitbringen. Bei Äquivalenz-stereofonie geht man (stillschweigend) davon aus, dass es sich um gleichsinnige Additionen handelt, also kein Trading vorliegt – hoffentlich stimmt das auch immer.

Sofern Laufzeitunterschiede im Stereosignal enthalten sind, heißt es für solche Tracks am Mischpult: volle Ausrichtung der beiden Panoramaregler bis zum Anschlag (der linke Kanal voll nach links, der rechte Kanal voll nach rechts) und danach Finger weg! Jede Einengung der Stereobasis durch die Panpotis wird zwangsläufig zu einer Klangverschlechterung führen. Das gilt sowohl für analoge Mischpulte wie auch für digitale Workstations.

→ Praxistipp: Sofern Laufzeitunterschiede im Stereosignal enthalten sind, heißt es für solche Tracks am Mischpult: volle R/L-Ausrichtung beider Panoramaregler. Die Einengung der Stereobreite durch die Panpotis führt zu Verlust der Räumlichkeit und zu Kammfiltereffekten. Trading ruiniert den Sound!

Beispiel: Eine Schallquelle, die aufgrund von Laufzeitdifferenz bei einer Position 25 % rechts hörbar ist, per Panpoti zurück zur Mitte zu drehen, wird den Klang ruinieren.

Wollen Sie ein laufzeitbehaftetes Stereosignal auf der Lautsprecherbasis bewegen, haben Sie ein echtes Problem. Leichte Verschiebungen können durch Pegelerhöhung eines Kanals (mit dem rechten oder dem linken Kanalfader) bei weiterhin „voll geöffneten” Panpotis funktionieren, aber dann müssen Sie sehr streng im A/B-Vergleich beurteilen, was klanglich noch geht. Sie könnten die Kanäle tauschen, um die Schallquelle zu bewegen, dann wäre die Aufnahme zwar nicht mehr abbildungsrichtig, aber der Klang bliebe unbeschädigt.

Noch einmal zur Klarstellung andersherum: Sofern keine Laufzeitdifferenzen im Signal enthalten sind, können Sie mittels Panpotis alle Einstellungen vornehmen, die Sie für erforderlich halten. Bei der Polymikrofonie, bei der jedes Instrument und jede Stimme monofon aufgenommen wird und als Monospur in Ihrem Sequencer erscheint, ist dies genauso der Fall. Hier gibt es kein rechts und links im Signal und damit auch keine Laufzeitunterschiede. Monofone Signale können per Pegeldifferenz (also mittels Panpoti) beliebig auf der Stereobasis angeordnet werden, ohne dass es zu Klangverschlechterungen kommt.